Noch ist nicht klar, was alles durch Regenmassen und Hochwasser zerstört wurde. Aber erste Details sind schwindelerregend.
So manches Haus an der Ahr oder in der Eifel ist einfach weg. Weggespült. Wie viele es genau sind und wie viele zwar stehen, aber vielleicht bis in die Grundmauern Schaden genommen haben, das zeigt sich erst nach und nach. Und das, was in den Häusern war? Im Ort Ahrweiler spülten die Wassermassen Tische, Stühle, Schränke durch die Straßen, ganze Hoteleinrichtungen endeten im Schlamm.
Hunderte Gebäude seien zerstört, sagt der Landrat im Kreis Ahrweiler. Längst nicht alle Haushalte sind dagegen versichert. “Viele Menschen im Kreis haben alles verloren”, so Jürgen Pföhler. Nur, wie viel ist das wert: alles?
Bei Fabriken lässt sich das vielleicht einfacher beziffern. In Bad Neuenahr in Rheinland-Pfalz stand ein Werk des Autozulieferers ZF. Normalerweise arbeiten rund 280 Menschen hier. Jetzt liegt die Produktion auf Monate lahm. Durch das Hochwasser wurden Produktions- und Lagerhallen geflutet. Das Wasser habe in dem Werk bis zu zwei Meter hoch gestanden, heißt es bei ZF. Zwölf Fahrzeuge, auch ein Wohnwagen, seien in die Hallen gespült worden, das Werk verwüstet, der Boden mit einer dicken Schlammschicht bedeckt.
https://youtu.be/XH-U7ApfisI?list=PLwDxg3Iu5-Jsv9LTSPKRmLDqliIDKVwEJ
“Komplett zerstört”
Weitere Meldungen über Firmen und ihre Verluste werden bekannt: Das Factory-Outlet-Center in Bad Münstereifel mit 50 Geschäften: praktisch verschwunden, berichten Reporter. Das Dorint-Hotel in Bad Neuenahr: “komplett zerstört”, so der Geschäftsführer Jörg T. Böckeler. Die Wassermassen seien bis in die zweite Etage gelangt. In Leverkusen wurde in der Nacht zum Donnerstag das Klinikum mit 2500 Beschäftigten geschlossen: massiver Stromausfall.
Häuser und Fabriken kaputt, die Infrastruktur zerstört. Was aber genau heißt Infrastruktur?
Da sind zuallererst Straßen und Bahnen. Ein erstes Bild der Lage, so berichtete die Deutsche Bahn Anfang der Woche, zeige folgendes: Gleise auf mehr als 600 Kilometern Länge in der Region sind massiv beschädigt. Dazu gehören Weichen, Signaltechnik, Stellwerke, Brücken. Schäden in 80 Stationen und Haltepunkten durch Wasser, Schlamm und Geröll. Mindestens 20 Lokomotiven und Züge sind über Monate nicht einsetzbar.
Das Ahrtal ist mit der Regionalbahn nicht mehr erreichbar: Im Tal sind mindestens sieben Eisenbahnbrücken und bis zu 20 der insgesamt 29 Kilometer Gleise “nicht mehr vorhanden”, so die DB-Regionalbahn. Die Eifelstrecke von Trier bis Köln ist komplett gesperrt, ein konkretes Lagebild der Schäden ist der DB aber noch nicht bekannt: Die Strecke sei “zurzeit schlicht nicht erreichbar”.
Aufgerissene Straßen und eingestürzte Brücken werden den Verkehr noch lange behindern. Auch wenn vielerorts überschwemmte Straßen vom Schutt befreit und gesäubert wurden.
https://youtu.be/WnHf5HD2gpc?list=PLwDxg3Iu5-Jsv9LTSPKRmLDqliIDKVwEJ
“Kaltes Wasser, kalte Wohnung”
Dass viele Reparaturen mehr Zeit brauchen werden, zeichnet sich schon ab. Der Versorger Energienetze Mittelrhein warnte, die Wiederherstellung der Gasversorgung im Kreis Ahrweiler könne im schlimmsten Fall Monate dauern. “Die Gasleitung ist komplett gerissen. Wirklich zerstört”, sagte Firmensprecher Marcelo Peerenboom. Mehrere Kilometer Leitung müssten komplett neu gebaut werden. “Das wird leider Wochen oder Monate dauern, bis dort wieder Gasversorgung ist. Das heißt für die Bürger: kaltes Wasser, und wenn die Heizperiode kommt, auch kalte Wohnung.”
Zeitweise waren die Flutgebiete nicht einmal per Handy oder Telefon erreichbar. Die Wasser hatten Mobilfunkstationen und die grauen Verteilerkästen in den Straßen weggerissen. Deutsche Telekom und Vodafone schafften über das Wochenende mobile Antennenstationen und anderen Ersatz mit Schwertransporten in die Eifel – die Kosten auch dafür müssen beziffert werden.
https://youtu.be/NMpwnpRoZKk?list=PLwDxg3Iu5-Jsv9LTSPKRmLDqliIDKVwEJ
“Nationaler Kraftakt”
Gerechnet wird allenthalben. Die Versicherer wollen Mitte der Woche erste Schätzungen liefern. Im Bundesverkehrsministerium tagt eine Taskforce für die Reparatur kaputter Brücken, Gleise, Straßen und Mobilfunkmasten. Allein bei der Deutschen Bahn und bei Straßen rechnet der Bund mit mindestens rund zwei Milliarden Euro Schäden, wie es aus Regierungskreisen hieß. Bundesfinanzminister Olaf Scholz spricht von einem “nationalen Kraftakt”, der nun folgen müsse und stellte Soforthilfen von 400 Millionen Euro in Aussicht. Sie sollen schon im Juli bereitstehen.
“Nach der Elbeflut 2002 hat es etwa drei Jahre gedauert, bis die größten Schäden behoben waren, und fünf Jahre, bis die betroffenen Gebiete wieder ordentlich aussahen”, sagte Reinhardt Quast, Präsident des Zentralverbands des Deutsches Baugewerbes. Die Fluten von 2002 und 2013 sind es, die nun immer wieder zum Vergleich herangezogen, solange noch genauere Zahlen für die aktuelle Katastrophe fehlen. Damals hatten Bund und Länder – nach der Soforthilfe – längerfristige Aufbaugelder in Höhe von acht Milliarden Euro bereitgestellt.
Die aktuelle Notlage übertrifft allerdings die früheren. Eine furchtbare Zahl macht das deutlicher als alles andere: Bis zum Wochenbeginn wurden 164 Tote im Katastrophengebiet geborgen. Und es ist nicht ausgeschlossen, dass noch weitere Opfer gefunden werden könnten. Die Einsatzkräfte suchen weiter nach Vermissten./dw
ar/hb (dpa,rtr – Archiv)